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Neo Muyanga über das Komponieren, klassische Musik und Musik als universelle Sprache

Der in Soweto geborene Neo Muyanga gehört zu den prägendsten Gesichtern der südafrikanischen Musikszene und hat mit seinen genreübergreifenden Kompositionen, eigenen Musikprojekten und theoretischen Ansätzen zur Musik der panafrikanischen Diaspora eine ganze Generation mitgeprägt. Neben Nik Bärtsch wird auch er eigens für die Südafrika-Tour von guerillaclassics ein Stück komponieren, welches die Nachwuchsmusiker des Zürcher Cosmic Percussion Ensemble gemeinsam mit Musiker*innen aus Südafrika interpretieren werden. guerillaclassics hat Muyanga in Kapstadt besucht und mit ihm über seine Herangehensweise beim Kompositionsprozess, den Effekt von klassischer Musik in unserer heutigen Realität und die Bedeutung von Musik als universelle Sprache gesprochen.

Schwebt dir schon etwas Bestimmtes für deine Komposition für unsere Südafrika-Tour vor? Wie gehst du beim Komponieren vor?

Ja, ich habe schon einige Ideen. Die eine nimmt Bezug auf ein Lied aus einer Community im Ostkap, bei welcher traditionelle Streichinstrumente zum Einsatz kommen. Ich will das Instrumentarium ausbauen und das Stück für Marimba spielbar machen. Es wird Verweise auf drei verschiedene musikalische Universen geben: auf den Jazz aus Kapstadt und den Jazz der Protestära, auf die präkoloniale Musiktradition des Ostkaps und auf einen abstrakten, fast schon minimalistischen Ansatz – etwas in Richtung Neue Musik. Diese drei Verortungen könnten einen spannenden Dialog zwischen den verschiedenen Musiker*innenkonstellationen schaffen.

Du kommst aus Südafrika, das Cosmic Percussion Ensemble aus der Schweiz. Beeinflusst das deine Herangehensweise im Kompositionsprozess bzw. das Stück, das du schreiben wirst?

Ich denke, dass die Herkunft und die Kindheit und Jugend einen Einfluss darauf haben, wie man das aufnimmt, was man hört. Wie man Tonalität oder Rhythmusänderungen wahrnimmt, hat auch viel mit der Muttersprache und den damit verbundenen Geschichten und Traditionen zu tun. Mein Ansatz ist es, die Musiker*innen – sowohl die aus der Schweiz als auch die aus Südafrika – aus ihrer Comfort Zone herauszulocken. Denn im musikalischen Dialog geht es darum, über Grenzen hinauszuwachsen; es geht darum zu versuchen, Musik auf neue Art und Weise zu verstehen und zu hören. Der zentrale Fokus in meiner Komposition liegt daher auf der Tatsache, dass die Musiker*innen aus verschiedenen Teilen der Welt kommen – und ich versuche herauszufinden, wie und wo sie gemeinsam zueinanderfinden und ihr vertrautes Repertoire zeigen können und gleichzeitig neugierig auf das Unbekannte sind und Lust darauf haben, sich Tönen, Rhythmen und Stücken zu stellen, die sie noch nicht kennen.

Erzähl uns mehr über deine Verbindung zu guerillaclassics und warum du uns unterstützt?

Als du mir zum ersten Mal von guerillaclassics erzählt hast, war ich sofort Feuer und Flamme für die Idee, die sogenannte klassische Musik unter neuen Gesichtspunkten zu hinterfragen: Wo kommt klassische Musik eigentlich her? Welchen Effekt hat sie in unserer heutigen Realität, im 21. Jahrhundert? Ich halte das für zwei wichtige Ansatzpunkte in der klassischen Musikwelt. Wir alle müssen heutzutage die Augen offen halten für die Fragen, die unser Leben bestimmen. Um als Künstler*innen relevant zu sein, müssen wir Dinge ansprechen, die jetzt von Bedeutung sind. Aber ich denke auch, dass Dinge, die in der Vergangenheit, zu Zeiten von Beethoven und noch davor, angesprochen wurden, noch immer wichtige Themen sind. Etwa wenn es um Selbstverwirklichung, um nationale Identität vs. Diversität, um Reisen und Immigration geht. Das sind alles keine neuen Fragen. Sie schwirren schon lange in der Welt umher. Mir geht es darum, die Musik des alten Europas in den Kontext aktueller Fragen zu stellen. Und mir gefällt es, dass das mit klassischer Musik möglich ist. Denn wenn man Dinge immer und immer wieder wiederholt, neigt man dazu zu glauben, sie genau zu kennen. Aber gerade wenn man mit einem neuen Ansatz und mit einem neuen Blick über bekanntes Terrain streift, verrät das sehr viel Interessantes über uns und darüber, was es bedeutet im 21. Jahrhundert Mensch zu sein.

Viele Menschen bezeichnen Musik als universelle Sprache. Wie siehst du das? Glaubst du, dass Musik Brücken zwischen Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und sozialen Hintergrund bauen kann?

Ja, ich denke auf jeden Fall, dass Musik Brücken zwischen Menschen, zwischen Fremden, sogar zwischen Feinden bauen kann. Die beruhigenden oder spannungsgeladenen Harmonien in der Musik schaffen eine Art Empathie, sie erlauben uns auch über schwierige Dinge zu reden. Stellen wir uns zwanzig Menschen mit unterschiedlichen Meinungen vor, die hier mit uns in diesem Raum sitzen und ein intensives politisches Streitgespräch führen. Wir würden wahrscheinlich zu keiner Lösung finden. Aber würden zwanzig Menschen gleichzeitig zwanzig musikalische Linien spielen, wäre die Wahrscheinlichkeit, eine Art Synthese in diesem Streit zu finden, bestimmt grösser. Was ich damit sagen will: Musik ermöglicht es, zugleich zu reden und zuzuhören. Musik als internationale Sprache – ja, das ist wahr. Allerdings darf man mit solchen Klischees nicht zu leichtfertig umgehen. Die Menschen sind gerade heutzutage so versessen darauf, ihre Unterschiede gegenüber anderen herauszustellen. Das kommt daher, dass sie versuchen, etwas zu beschützen, meistens einen sozialen oder wirtschaftlichen Bereich. Wenn man die Frage in diesem Kontext betrachtet, ist Musik nicht einfach automatisch eine universelle Sprache. Es gibt schliesslich verschiedene Arten von Musik. Was Musik aber erfordert bzw. einfordert, ist die Geduld zu lernen und zu verstehen wie die Tonalität in anderen Traditionen funktioniert – und offen gegenüber anderen Tonalitäten, Ansatzweisen und Traditionen zu sein. Diese Vergleiche helfen. Wenn diese Voraussetzung erfüllt wird, dann kann Musik eine internationale Sprache sein – absolut.

Du komponierst Musik speziell für diese Tour in der Schweiz und Südafrika. Es wird auch Auftritte an Orten wie dem Soweto Theatre oder der Park Station in Johannesburg geben. Wie wirkt sich das aufs Komponieren aus?

Ich kenne viele der Spielorte und weiss wie problematisch einige davon bezüglich Themen wie Hall oder Lärm sind. Andere Spielorte sind dagegen genau für Musikaufführungen gedacht – etwa die Youngblood Foundation. Das Komplizierte ist, dass meine Komposition an den unterschiedlichsten Orten ansprechend sein muss. Ich muss bedenken, was für die Instrumente technisch möglich ist, die ja in Bezug auf den dynamischen Tonumfang sehr unterschiedlich sind. Manche sind sehr laut, andere nicht. Ich muss ausserdem die Erwartungshaltung des Publikums an den verschiedenen Spielorten berücksichtigen. Ich muss etwas bieten, dass an dem jeweiligen Ort nicht zu fremd ist, aber das Publikum trotzdem dazu bewegt, neugierig zu sein und sich auch die Teile anzuhören, mit denen die Zuhörer*innen noch nicht vertraut sind. Es findet demnach auch ein Dialog mit dem Publikum statt. Ich hoffe sehr, dass dadurch am Ende der Zusammenarbeit ein Dialog im öffentlichen Raum entsteht, ein Dialog, der die Menschen dazu ermutigt über ihre Gefühle nachzudenken. Sie sollen darüber nachdenken, was sie gehört haben und welche Auswirkungen das Erlebte auf ihre Denkweisen an diesem Tag, in diesem Moment hat – die Musik soll neue Anstösse zum Denken und Fühlen geben. Das interessiert mich am meisten.

Was kann bei so einer Tour «herauskommen», warum ist es wichtig, dass wir diese Tour in Südafrika machen?

Wir können den Musiker*innen Formen und Formate beibringen, die ihnen bis dahin unbekannt waren. Ich halte es immer für einen Vorteil, Musikformate zu erlernen, mit denen man noch nicht vertraut ist. Das macht einen zu einem vielseitigeren Musikerschaffenden bzw. einer vielseitigeren Person. Ich möchte nicht behaupten, dass so eine Tour ausgerechnet in Südafrika besonders nützlich oder positiv ist. Weshalb? Weil ich der Meinung bin, dass eine solche Tour überall auf der Welt eine tolle Sache wäre. Wir alle sind hier, um uns gegenseitig auszutauschen und noch mehr Möglichkeiten für diesen Austausch miteinander zu schaffen. Ich hoffe, dass es auch für die Musiker*innen eine Gelegenheit sein wird, in einen musikalischen wie auch persönlichen Dialog als Menschen zu treten und dabei neue Dinge auszuprobieren und zu lernen. Ich hoffe, dass das ihre Sicht auf sich selber als Musiker*innen und als Menschen in der heutigen Welt bereichern wird.